Das Poster
“Lassen Sie mich dem Thema unserer Tagung, dem Ende der Aushandlungen, durch eine Bildinterpretation annähern, so laienhaft sie Experten in diesem Gebiet auch erscheinen mag. Was bei dem vom Grafiker Arne Beck entworfenen Tagungsplakat zuerst ins Auge fällt, ist, dass hier das Design einer Tageszeitung simuliert, also die tagesaktuelle Brisanz des Themas herausstellt wird. Die Größe des Plakats kann auch nahelegen, dass es sich um einen öffentlichen Aushang handeln könnte – ähnlich der Aushänge an Litfaßsäulen, vor denen sich die Menschen in der Weimarer Republik versammelten. Prominent auf dem Plakat ist das Foto – leicht verschwommen, dokumentarisch aus der Hüfte geschossen und den historischen Moment einfangend, in dem sich zwei weiße Männer in Anzügen die Hand reichen. Es scheint vorher zu einer Aushandlung gekommen zu sein. Es scheint, dass eine Einigung bevorstand. Doch zugleich ist in die Materialität des Plakats eine eigene Zeitlichkeit eingeschrieben, die über den dokumentierten Moment hinausgeht und als Metakommentar gelesen werden kann. Irgendjemand hat das Plakat zerrissen und somit die physische Einheit des Plakats durch einen quer laufenden Riss unterbrochen. Der Riss wurde dem Plakat von außen zugefügt und trennt, was ein Handschlag hätte werden sollen. Möglich ist, dass diese Unterbrechung mit einer Kritik daran tun hat, welche Personengruppe (weiß, männlich, Anzugträger) hier zu einer Einigung kam, die über die Köpfe anderer hinweg getroffen wurde. Dennoch liegen die beiden Hälften des Plakats nebeneinander. Hat jemand die Teile anschließend wieder zusammengefügt, um die Unterbrechung rückgängig zu machen? Wir können nur spekulieren. Klar ist jedoch, dass der Riss sichtbar bleibt und die beiden Teile des Plakats nun leicht verschoben zueinanderstehen. Und so ist in das Tagungsplakat eine etwas rätselhafte Unruhe eingeschrieben, die im Titel der Tagung durch das Fragezeichen angedeutet ist.”
(Thomas Kirsch, Eröffnungsrede, 29. September 2019)